Zwischen Tür und Angel
Vorgestern habe ich mir im „Haus der Kirche“ in Kassel eine Ausstellung zum Thema Tod und Sterben angesehen. „Was bleibt“ lautet der Titel. Dahinter verbergen sich auch Hinweise und Praxistipps, materielle Werte durch Spenden, Vererben oder Stiften der Kirche oder Diakonie zukommen zu lassen.
Ich finde die Ausstellung ansprechend gemacht. Sie regt zum Erinnern und Weiterdenken an. Es ist es sicher geschickt, die existentiellen Fragen, die Tod und Sterben auslösen, mit praktischen Nachlass-Aspekten zu verbinden. Aber dass Kirche seelsorgerische und theologische Themen mit ihrem eigenen Interesse verbindet, Nachlässe zu akquirieren, fand ich in meiner Situation äußerst befremdlich.
Und dann gab es noch diese Begegnung am Rande. Im Vorbeigehen sah ich eine alte Bekannte. Wir kennen uns schon lange, hatten früher mehr Kontakt, uns aber dann irgendwann aus den Augen verloren. Wie das halt so ist. Aber wir freuen uns immer, wenn wir uns treffen. Ich rief ihr also fröhlich hinterher und als sie sich umdrehte, fiel mir ein, dass sie mich mit meiner, den kahlen Kopf bedeckenden Mütze vielleicht gar nicht erkennt.
Wie auch immer: Es folgte mit fröhlichem Lächeln die obligatorische Frage: „Und, wie geht`s dir denn?“ Ja, upps… was nun? Ich fragte vorsichtig zurück: „Du weißt, dass ich krank bin?“ Aus ihrem Blick lese ich die Antwort, die auch gleich folgt: „Nein?“. Und dann muss ich innerhalb weniger Sekunden entscheiden, wie es nun weitergeht. Es ist ja nur eine zufällige kurze „Wie geht`s?-Begegnung.
Und dennoch … letztlich habe ich nicht wirklich weiter nachgedacht oder gar abgewogen, ich antwortete kurz und knapp: „Unter den gegebenen Umständen gerade ganz gut. Ich habe Bauchspeicheldrüsenkrebs, bin mittlerweile in palliativer Behandlung und lebe jetzt in Kassel.“ Eine Menge gewichtiger Infos auf einen Schlag. Ich merke es selbst. Mein Gegenüber reagiert emphatisch und souverän. Sie fragt nach, wünscht mir Gutes. Ich nehme es dankbar an, bin bekanntermaßen von der Wirkmacht guter Wünsche und Gedanken überzeugt. Wir verabschieden uns herzlich.
Nur wenig später fluten mich Fragen und Überlegungen. Einerseits: Ist es nicht eine Zumutung, jemand zwischen Tür und Angel mit solchen Themen zu konfrontieren? Widerspricht das nicht der Etikette „Kurze Begegnung = leichter Smalltalk“? Andererseits: Wir standen im „Haus der Kirche“ am Rande der Ausstellung, deren Anliegen es ist, den Tod ins Leben zu holen. Dem Unsagbaren zu Sprache und Umgang damit zu verhelfen. Es in den Alltag zu holen. So vielleicht etwas von seiner Bedrohlichkeit zu nehmen. Wenn nicht hier, wo dann ist es möglich, auch zwischen Tür und Angel das Leben in seiner radikalen Vielfalt zur Kenntnis zu nehmen?
Und doch: Es bleibt in mir ein Unbehagen, wenn ich mir vorstelle, in solchen Situationen mein Gegenüber mit Informationen zu überfallen und zu überfordern.
Aber vielleicht ist in solchen kurzen Momenten und zwischen Tür und Angel ja auch manchmal mehr Platz als man denkt.